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Besprechung "Gesänge
der Stille" in
Beiträge
zur Gregorianik, Heft 43, Seite 133-134
durch Bernhard Pfeiffer
Kösel Verlag München
Gregor Baumhof, Gesänge der Stille. Mit dem Gregorianischen Choral meditieren.
Ein Übungsbuch mit CD. Kösel Verlag München 2006. 176 S. mit beigelegter
CD, zahlreichen Notenbeispielen und färbigen Abbildungen. ISBN 3-466-36721-2.
Frater Gregor Baumhof, Mönch der Abtei Niederaltaich, hat gerade eben
in München ein Haus für Gregorianik (www.gregorianik.org) mit umfangreichem
Kursangebot und verschiedenen pädagogischen Konzepten ins Leben gerufen,
als das hier vorgestellte Buch immer häufiger in Klosterläden und Theologischen
Buchhandlungen "auftaucht". Natürlich lädt die Krypta auf dem Buchdeckel
mit ihrem Halbdunkel zum Meditieren ein, doch stellt der dritte Untertitel
("ein Übungsbuch") das Werk gerade nicht in eine Reihe mit den zahlreichen
sentimentalen Meditationsbüchern der religiösen Wühltische. Mein "geistliches
Leben von der Kraftquelle des Gregorianischen Chorals her vertiefen und
bereichern zu lassen" (S. 9), beginnt mit dem mönchischen Grundvollzug
des Ein-Übens in die Klangworte. Fr. Gregor schreibt vor dem Hintergrund
jahrelanger gregorianischer Erfahrungen als Lernender (der Modi, Handschriften,
Semiologie) wie als Lehrender (in Kloster, Lehraufträgen und Kursen).
Sein (vielleicht sogar zu bescheidener) Verzicht "auf jeden wissenschaftlichen
Anspruch" eröffnet ihm die Freiheit, das Repertoire der beigefügten CD
frei auszuwählen, auf den Weihnachtsfestkreis zu beschränken und die sieben
O-Antiphonen des Advent über das ganze Werk verteilt gemeinsam mit Farbbildern
der Glasfenster von Bernhard Schlagemann zu präsentieren. Alle notwendigerweise
subjektiven Zugänge zu den Texten der Gesänge sind objektiv geerdet: Der
Notentext der Gesänge nach dem Graduale Triplex (Hs. Laon weggelassen)
oder Antiphonale Monasticum 2005 wurde nach den ältesten Quellen (meist
den Vorschlägen aus den BzG folgend) restituiert. Es kann gar nicht hoch
genug eingeschätzt werden, dass ein spirituell ausgerichtetes, allgemein
verständliches Buch endlich einmal kompromisslos den alten Quellen folgt
und beim Abdruck der Noten nicht den "leichten" Weg der nächstbesten "offiziellen"
Ausgabe einschlägt.
Die deutschen Übersetzungen sind dem Autor außerordentlich gut gelungen,
da sie bei aller interlinearen Verfolgbarkeit der lateinischen Klangworte
großes Gewicht auf ein bilderreiches Deutsch legen. Seine Münchener Scholaren
singen alle 33 Stücke klangschön, professionell und, was gar nicht selbstverständlich
ist, in gut erreichbarer absoluter Tonhöhe (meist Tenor a)! Viele gute
Gregorianikaufnahmen aus Italien, Deutschland wie Frankreich haben für
Übende, und dies sind zuerst einmal Menschen, die nachsingen oder mitsingen
wollen, den Nachteil, dass die Profis schwindelerregende Tonhöhen vorgeben
und alleine damit viele Laien abhängen. Zwei Kleinigkeiten würde ich selbst
anders machen: 1. Außerhalb des klösterlichen Rahmens hätte ich den Sängern
die "romanische Aussprache" des Latein zugemutet, weil sie den handschriftlichen
Befunden am nächsten steht. 2. Die Psalmverse beim Introitus lassen sich
nirgends besser singfertig in restituierter Form finden als im Versicularium
(SG 381), hrsg. v. Michael Hermes OSB. Warum Fr. Gregor hier (trotz korrekt
neumierter Psalmverse!) dem Graduale Romanum folgt, ist nicht schlüssig.
Die Analyse der Gesänge folgt jeweils dem Schema: Notentext - Textdeutung
- Musikalische Betrachtung - Zusammenfassung. Jedes Kapitel ist in sich
verständlich und wird bei mehrfachem Hören des Stücks von der CD weiter
erhellt.
Der den vier Advents-Introiten je eigene Charakter ist meisterhaft herausgearbeitet,
allein schon anhand der sich steigernden Leitmotive: "die Sehnsucht nach
Bezug und Licht, nach Heil und Heilung, nach Freude, nach neuem Leben".
Auch einem Anfänger mag anhand Baumhofs Ausführungen deutlich werden,
dass die Textgestalt der Messgesänge eine oft spannende 'Exegese des Weglassens'
einschließt: Der Komponist deutet die Jesaja-Worte des Introitus am 2.
Advent von der Vernichtung der Völker um zu deren Heil und Rettung (S.
48).
Das Buch bietet zwar kein Beispiel aus der komplexen Formenwelt des Tractus
oder Offertoriums. Dennoch muss dem Anfänger empfohlen werden, nicht gleich
mit einem Introitus zu beginnen, sondern den Zugang mittels der treffend
gewählten kurzen Antiphonen (S. 33, 62, 117 etc.) zu suchen.
Baumhofs Buch ist für mich eine der wenigen und zugleich bedeutendsten
Arbeiten, die nach Jahren einer die Einzelneume "sezierenden" semilogischen
Wissenschaft die theologische Zusammenschau wagt. Es bleibt spannend,
was wir hier von ihm und anderen Autoren noch zu erwarten haben.
Wer tiefer in die "Theorie" der Gregorianik sich eindenken will, findet
im "Anhang" (S. 165 ff.) eine in ihrer Knappheit und zugleich Verständlichkeit
sehr gelungene Einführung in Neumen, Notation und Modi. Die Begriffe "Bogenoktav"
und "Wellenoktav" werden zwar S. 170 erklärt, sind dem Rezensenten jedoch
in bisheriger Literatur noch nie begegnet; die Bezeichnungen "Dorisch",
"Hypodorisch" usw. hätten vielleicht durch "Protus zur Quinte", Protus
zur Terz" etc. ergänzt werden sollen (vgl. Agustoni/Göschl I, S. 40).
Wichtig scheint mir, dass die Leser dieser Zeitschrift sehr wohlwollend
zu Multiplikatoren für dieses Buch werden in ihren Kursen und Seminaren
und in ihren Kirchengemeinden und Gruppen den Praxistest wagen, das Werk
"unters Volk" zu denjenigen zu bringen, die einen Zugang zu den Gesängen
suchen, die aber die lateinische Sprache oder die "besondere Notation"
bislang abschreckte. Endlich ist das Buch von der Qualität des Drucks,
seiner Bilder und des Einbands her so ansprechend, dass man es in jedem
Weihnachtsfestkreis wieder gerne zur Hand nimmt und sich fragt, wann dergleichen
zum Osterfestkreis uns geschenkt wird!
Bernhard Pfeiffer
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