Betrachtung
ausgewählter Gesänge der Weihnachtszeit
1. Betrachtung:
Die Antiphonen der 1. Vesper und die Antiphonen
der Laudes
2. Betrachtung:
Der Introitus
und die Communio der Missa in nocte
und der Introitus
der Missa in aurora
Motto: „Es
ist unmöglich, die Melodien von Weihnachten zu singen, ohne mehr und
mehr in das einzutreten und dem näher zu kommen, was es um das Geheimnis
von Weihnachten und der Inkarnation ist.“
(DOM Joseph Gajard)
I.
Die Antiphonen der 1. Vesper und der Laudes
a. Die Antiphonen der 1. Vesper
Die musikalischen
Stücke der Laudes und der beiden Vespern kontrastieren
mit den großen Gesängen in den Messen durch ihre Eigenart, kurz, wenig
verziert und im besten Sinne des Wortes einfach zu sein. Wir sind geneigt
zu denken, daß lediglich die großen Stücke
zu musikalischem Ausdruck fähig sind und daß
es müßig sei, einen solchen Ausdruck in den kleinen Antiphonen
zu finden, deren Ausdehnung wir vermeintlich zu gering halten, als daß sie musikalischen Wert entfalten könnten. Oft genug sehen
wir in den Antiphonen einen üblichen Vorspann,
um in den Psalm zu gelangen und wir führen sie oft mehr schlecht als
recht und ohne Andacht und Sammlung aus, mit dem einzigen Gedanken,
an ein richtiges Ende zu kommen.
Das aber
ist ein grobes Mißverständnis. Die Wahrheit
ist, daß diese kleinen Antiphonen, für
deren Notation ja oft schon eine Zeile reicht, Sinnträger wie die großen
Stücke sein können. Es gibt dafür nicht wenige Beispiele. Ich verweise
hier besonders auf meinen Artikel über die Antiphon „Jerusalem gaude“
hin, der in den BEIDEN TÜRMEN veröffentlicht wurde. Sie sind allerdings
oft so fein und zart und manchmal von einer solchen Nüchternheit, daß
sie sich nur mühsam einer Analyse unterziehen lassen. Aber sie tragen
in sich dasselbe Prinzip des Lebens und der Heiligung und reflektieren
diesselbe Seelenverfassung wie die großen Gesänge.
Weihnachten
gibt dafür gute Beispiele: Das Offizium von
Weihnachten ist besonders reich. Wir haben je eine eigene Antiphonenreihe
für die 1. Vesper, die Laudes und die 2. Vesper
und jede hat ihr eigenes Gesicht. Die 1. Vesper ist ein langer, überschwenglicher
Blick auf den Messias in Erwartung, die Laudes
besingen den irdischen Jubel der Geburt, die 2. Vesper läßt
sich unter dem Aspekt fassen, die Theologie des Werkes zu entfalten,
das der HERR vollbringt.
Die 1. Vesper
ist Vorspiel: sie spricht im Futur:
„desiderat“ (1. Antiphon)
„non tardabit“ (3. Antiphon)
“ecce appropinquabit” (4. Antiphon)
“mane videbitis” (Responsorium)
“Crastina die
delebitur” (Versikel)
“videbitis Regem”
(Magnificatantiphon)
Nur die 1.
und 2. Antiphon, das Kapitel und der Hymnus sind im Perfekt gehalten.
Man schaue sich unter diesem Blickwinkel auch einmal sämtliche Antiphonen
der Adventszeit an, in denen von „venire -
kommen“ die Rede ist. Hier kann sehr deutlich werden, daß
die lateinische Liturgie keine abstrakte, kalte und erstarrte Sache
ist, sondern lebendig, ganz und gar, die singende Gemeinde ist hier
in den Antiphonen eine lebendige Person, die blickt, liebt und singt
von dem, was sie als Teuerstes und Kostbarstes in ihrem Herzen hat.
Sie bereitet sich vor, in der Stille IHN zu empfangen, mit Ernst und
Würde. So sind auch die meisten
Antiphonen der Adventszeit im 1., 2. und 4.
Ton gehalten, denen der mittelalterliche Tonartenethos die Eigenschaften
„gravis“ im Sinne „würdig, diskret, ersnst
ruhig“, von „tristis“ im Sinne von „gesammelt und andächtig“ und von „harmonikus“ im Sinne von „eindringlich, innerlich bittend“
zuerkennt.
Die Kirche
nennt nur noch IHN, sie denkt nur noch IHN, sie sagt sich stets, was
ER sein wird,was ER machen wird, alles, was die Propheten verkündet
haben (hier sei besonders auf die großen O- Antiphonen
verwiesen). Es ist reine Anbetung, eher zart, lieblich, innerlich, bis
es dann im Invitatorium der Nacht heißt: „Christus
natus est“
Schauen wir
uns einige Antiphonen etwas genauer an. Ich
habe Ihnen die Antiphonen zusammengestellt
und sie mit den neumatischen Hinweisen aus
dem Codex Hartker (um 1000) ergänzt. Dieser Codex ist die älteste Handschrift,
die alle Melodien der Stundenliturgie enthält, aufgezeichnet mit linienlosen
Neumen, die zwar keine Auskunft über die Tonhöhe
geben, dafür aber umso wichtigere Hinweise rhythmischer, agogischer
und interpretatorischer Art enthalten.
a. „Rex pacificus“
Während des
ganzen Advents haben wir im Responsorium der
Laudes mit dem Psalmvers den Messias gerufen, er möge sich
endlich zeigen: „Ostende faciem
tuam, et salvi erimus“ (Martin Buber übersetzt so trefflich „Lichte dein Antlitz und wir
sind befreit“). Und genau in dieser 1. Antiphon, die sonst leicht ausgeführt
wird, sind zwei Worte quasi „musikalisch“ unterstrichen und so plastisch
herausgearbeitet: nämlich jenes, das auf diese in der ganzen Adventszeit
vorgetragenen Bitte Bezug nimmt „cuius vultum“ und das 1. Wort „Rex“. Die musikalische Unterstreichung
geschieht durch Neumen mit Zusatzzeichen,
die sie in der Regel in Ihrem Antiphonale
nicht finden. Auch erreicht bei „cuius
vultum“ die Melodie erstmals und einmalig
ihren höchsten Punkt, das „c“. An dieser Stelle hat die Antiphon ihre
gröte Amplitude: das „f“ von „cuius“
bildet mit dem „c“ von „vultum“ eine sonst
in der Antiphon nicht mehr anzutreffende Quinte. Bis zu dieser Stelle
gab es in der Melodie lediglich an zwei Stellen Zweinotengruppen, die
jedoch alle leicht und flüssig auszufühen
sind. Nun häufen sie sich: Nur in diesem kleinen Teil von „cuius
vultum“ erscheinen derer zwei gleich hintereinander
und die auch noch gedehnt! Das erste Wort „Rex“ dieser Antiphon ist
in der Neumenschrift von Hartker
durch eine sog. episemierte Virga
gekennzeichnet. Da es unmittelbar am Anfang der ersten Vesper und damit
überhaupt am Anfang der liturgischen Feier steht, hat es programmatische
Bedeutung. Dem König des Friedens, auf den die ganze Erde voll Sehnsucht
wartet, dessen Kommen wir im Advent betend und singend ersehnt haben,
gilt der Lobpreis („magnificatus est“).
Wie könnte man dieses bedeutungsvolle Wort im Kontext des Weihnachtsfestes
beiläufig, ohne besonderen Nachdruck aussprechen, zumal es auch durch
seine phonetischen Dichte, die durch den Endkonsonanten „X“ und den
unmittelbar folgenden Konsonanten „P“ des neuen Wortes bedingt ist,
eine besonders sorgfältige Artikulation verlangt? All dem trägt diese
episemierte Virga
Rechnung. Übrigens findet sich das gleiche Zeichen noch an zwei weiteren
Stellen: Auf der Schlußsilbe von „pacificus“
und gleich danach auf der Anfangssilbe von „magnificatus“.
Ein weiteres Sonderzeichen, jedoch in Verbindung mit einem waagerechten
Strich („tractulus“) weist das abschließende Wort „est“ auf. Diese drei letztgenannten Sonderzeichen haben jedoch
eine ganz andere Funktion zu erfüllen als das Zeichen bei „Rex“. Sie
geben Textgliederungen an und grenzen syntaktische Einheiten ab. Mit
den ihnen entsprechenden Endsilben werden zwei kleinere Sinneinheiten
zum Abschluß gebracht. Daß
mit diesen beiden Distinktionspunkten eine etwas größere, jedoch unmeßbare
Dauer verbunden ist, legt bereits der Kontext nahe und das Episem
bestätigt diesen Sachverhalt.
Das Sonderzeichen
auf „magnificatus“ hat nun wieder eine andere
Rolle. Diese Silbe befindet sich im Anziehungsfeld der Akzentsilbe „má-gnificatus“. Die ihr entsprechende Virga
mit Episem kann unmöglich bedeuten, dieser
Silbe mehr an Dauer und Bedeutung zuzumessen als der Akzentsilbe „magnificátus“,
aber sie kann klar der gefahr entgegenwirken,
daß die Silbe zu sehr in den Sog der nachfolgenden höheren
Note gerät, wodurch ein wenig schöner, skandierender Rhythmus „g-a,g-a“ entstünde, der den Erfordernissen des Textes ganz
und gar zuwiderliefe. Das Wort „magnificatus“
verlangt nämlich eine Ausführung, die schon von der ersten Silbe an
mit einer gewissen Breite und Fülle auf den Akzent hinströmt.
Keine Angst,
daß ich alle Antiphonen
in solcher Einzelheit mit Ihnen durchgehe. Ich wollte aber an einer
Antiphon exemplarisch deutlich machen, mit welch großer Ehrfurcht und
mit welcher tiefen Versenkung in den inneren Gehalt und die äußere Gestalt
des Textes diese kleine Antiphon gearbeitet ist und daß
es hierbei stets von großem Nutzen ist, wenn wir die handschriftlichen
Zeichen zu Rate ziehen.
b. die weiteren
Antiphonen
Betrachten
wir die Freude im Schwung, der die Antiphon „Magnificatus“
vom Anfang bis zum Schluß prägt. (7. Modus
„Angelikus“). Der höchste Ton „d“ kommt nur einmal vor und ist reserviert
für die Akzentsilbe von „magnificátus“. Dieses
Wort erhält den Bogenschwung einer Quinte, die übrige Melodie weitet
sich nicht mehr so weit aus. Hier haben Sie ein Musterbeispiel wie nahe
der wahren Kunst Erhabenheit und Einfachheit sind.
Sehen Sie
die feierliche Bejahung und Bestätigung, die lebhaft und klangvoll,
schwungvoll und nachdrücklich sich abhebt vom Vorhergehenden im „Amen,
dico vobis“ der
Antiphon „Scitote“ und betrachten Sie die
Wichtigkeit, Würde und Feierlichkeit (1. Modus) der letzten vom ausgewogenen
Schwingen des „ecce appropinquabit“ und der etwas ungewöhnlich klingenden Kadenz!
c. Die Antiphon
zum Magnificat „Cum ortus
fuerit“
Diese Antiphon
ist so recht die Krönung dieses Offiziums.
Sie unterscheidet sich von den anderen Antiphonen
nur dadurch, daß ihr Reichtum an Linie größer
ist und durch eine tiefere Konzentration. Der Beginn benutzt eine häufig
vorkommende Floskel des 8. Modus, breitet sich aus auf den Hauptnoten
der modalen Leiter „g – a - f“. Nach einem ganz syllabischen Rezitativ
um das „g“ herum, das sich nach nachsinnend verbreitert, jetzt plötzlich
ein Flügelschlag. Der ausdrucksstarke Anstieg bei „regum“,
der sich auf eine leicht absteigende Bewegung („a – g – f “) bei „videbitis“
stützt, die den Ton „f“ berührt und sich danach mit Entschiedenheit
aufrichtet, um das „c“ zu erreichen, zu dem die Quilismagruppe
hinführt, die das wichtige „h“ enthält. Der Quartfall führt uns wieder
zur Tonika und verhindert jede Anwandlung einer weiteren Entwicklung.
In der Tat folgt folgt die Melodie dem Hang zum Gefälle bis zur letzten Inzise, nach der eine leiche Aufwärtsbewegung
erneut auftritt und sich ganz leicht ins Schweigen hin beendet. Andererseits
hält sie sich sehr zurück und präzisiert jedes Wort: „procedentem“, „a Patre“ und „tamquam sponsum“ durch Dehnung der
Tonfigur, um in aller Ruhe die kleinsten Einzelheiten ihrer Verehrung
auszukosten. Man könnte sagen, daß sie sich
im Kontrast zum vorhergehenden Schwung bei „procedentem“
mit den Kerntönen des Modus wieder auf sich selbst besinnt, sich eine
neue Aufwärtsbewegung leistet, lediglich um in voller Klarheit das Wort
„a Patre“ abzuheben, das folgt. Diese „a Patre“
mit seinem ausdrucksstarken Balancieren, mit seinem zweiten „h“, das
licht und stark nach dem vorhergegangenen „f“ wirkt, auf das es sich
stützt und mit seinem fast materielosen Rückfall auf die doppelte Finalis:
welche Zärtlichkeit und welche Inbrunst in diesen wenigen Noten. Eine
letzte Betrachtung gehört der gefälligen Bewegung der Worte „tamquam
sponsum“, die wie buchstabierend vertont sind
und erhaben gemacht werden durch das Wiederaufrichten der Melodie bei
„thalamo suo“, die die Antiphon mit
einer Bewegung feiner Entschlossenheit abschließt.
So hat im
Rückblick jede Antiphon ein ausdrückliches Gepräge, einen besonderen
Charakter, der sich trotzdem nicht abwendet von dem gemeinsamen Gedanken,
dem sie alle verpflichtet sind und von der Atmosphäre eines andächtigen
Glanzes, in die sie eingebettet sind. Das gibt der ersten Vesper ihren
einmaligen Reiz und das sollte auch immer wieder in der Ausführung bedacht
werden. Ich habe nach einem Bild gesucht, das diese Atmosphäre sichtbar
macht. Ich habe sie in dem einen Weihnachtsbild der Holztüren von Maria
im Kapitol gefunden, das ich ihnen in einer
Fotografie zugänglich gemacht habe. Auf dem einen Bild herrscht große
Ruhe und Sammlung, die durch das bildnerische Element strenger Symmetrie
erreicht wird. Maria und Josef sind dort ohne Hast, ohne laute Stimme
versunken in das Geheimnis der Nacht, die ein neues Licht atmet (vergl. den Hymnus „Veni Redemptor“), das der Stern vertritt. Die Symmetrie leitet
uns an, uns in diese innere Sammlung einzuschwingen.
Die Spiegelachse ist die Weltachse, die Christus, der Neugeborene, selbst
ist. Lediglich die Ohren von Ochs und Esel stören und bestätigen umso
deutlicher diese Ruhe und Sammlung, die dann entsteht wenn wir symmetrisch
(in innerer Entsprechung) uns auf das abgebildetete
Geschehen einlassen.
2. Die Antiphonen der Laudes
Mit den Antiphonen der Laudes tauchen wir
in eine ganz andere Welt, sie führen uns auf die Erde, sie halten sich
auf mit dem menschlich- zeitlichen Aspekt der Geburt,
sie sind erfüllt von einer menschlichen Freude, die ihren Ursprung in
der Geburt des Gottessohnes unter uns hat. Nichts mehr von von
dem nachsinnenden Blick auf die Namen des Wortes Gottes von Ewigkeit
her. Jetzt steht das kleine Kind („parvulus
filius“ in der 5. Antiphon) im Vordergrund
und die ganzen wunderbaren Umstände, die um seine Ankunft herum gruppiert
sind. Die Antiphonen der Laudes
beziehen sich fast alle auf den Evangelienbericht der Erscheinung der
Engel bei den Hirten.
Es versteht
sich von selbst, daß diese Antiphonen weder die theologische noch die musikalische Tiefe
besitzen wie die der 1. Vesper oder der Matutin
(die in sich ein theologisch- musikalisches Wunderwerk ist, von dem
ja leider nur noch Bruchstücke vorhanden sind). Die Antiphonen
der Laudes sind ganz anders, aber ich will
den Nachweis führen, daß auch sie wunderschön
sind. Vom Text her und vom ersten Anschauen her sind sie leicht angelegt,
von im guten Sinne her einfältiger Freude gekennzeichnet und in breitem
Erzählton gehalten. Man vergleiche nur schon die Ausdehnung der beiden
Reihen.
a. „Quem vidistis“
Sie ist die
munterste. Sie ist ein schneller und lebhaft geführter Dialog zwischen
dem gläubigen Volk und den Hirten, die man fragt, wen (nicht was!) sie
gesehen haben. Die Melodie dazu ist fast durchgängig syllabisch, doch
graziös, lebendig und immer in Bewegung durch das ständige Hin und Her
zwischen „c-d-f-e-c-e-d“, das sechsmal wiederholt wird, leicht variiert
nur aus Textgründen. Herausgehoben das „Quem“ durch Tonlage (Einsatz
der Antiphon auf dem Tenor) und Tonlänge (Episem und „tenete“) und das ihm
entsprechende „Natum“. Und bedenken Sie bitte, das letzte Stück, das
vor dieser ersten Antiphon der Laudes erklang
war die Communio der Mitternachtsmesse „In splendoribus
sanctorum“, die wir morgen auch deshalb noch
eingehender betrachten wollen.
b. „Genuit“
Sie beginnt
ähnlich, aber wie verschieden ist die Fortsetzung: der syllabische Vertonungsstil
weicht dem oligotonischen (einzelne oder mehrere
Noten auf einer Silbe): die Melodie läßt sich
vom Text unterrichten und wird nachdrücklich bei „nomen
aeternum“ (s. Neumen). Mit dem Schwung von
Bewunderung vor dem Mysterium der Jungfrau- Mutter steigt sie mit einer
Formel, die wir aus den großen O- Antiphonen
kennen, zum Höhepunkt (und sogar darüber hinaus!) und fällt dann zurück
zur Finalis „d“; dies übrigens im Gegensatz
zu den O- Antiphonen, die in ihrem Abstieg
alle bei „c“ enden. Aber genau dieses kleine Detail macht die Wendung
hier zart und freudig. Dann die Stelle „nec
primam“, die in einer lieblichen und doch
straffen und dichten Weise der Junfrau die
Ehre gibt. Die Melodie wendet sich nach unten, um in einer Formel zu
schließen, die wir aus der 1. Vesper bereits gut kennen. (vergl.
„universa terra“ von „Rex pacificus“ und „non tardabit“ von
„Scitote“). Keine Frage, daß
diese Antiphon eigentlich zurückhaltend und leicht zu singen wäre, was
die Bewegung wie die Stimme anbetrifft, aber die wichtigen Worte beachtet,
die auch durch die Neumen herausgeschält sind.
c. „Angelus“
Mit der Antiphon
„Angelus“ kehren wir zurück zu den Ereignissen, die die Geburt begleiten.
Alles wird deswegen auch wieder frisch und fröhlich (7. Modus ist „angelicus“), der ganze erste Teil hält sich fast ausschließlich
auf dem Tenor und seiner unmittelbaren Umgebung auf. Sobald aber der
Grund der Freuden genannt wird, verläßt die
Melodie den Höhenzug, das „hodie“ dabei gebührend
profilierend, um ihre Sammlung wiederzufinden
und berührt sogar das im 7. Modus nicht übliche „f“ um dem Gedanken
mehr Geschlossenheit zu geben. Ähnliches gilt auch für die Antiphon
„Facta est“.
d. „Parvulus“
Die letzte
Antiphon „Parvulus filius“
hat nun nichts mehr von der graziösen Leichtigkeit der anderen. Sie
ist breiter angelegt, feierlicher und ist eigentlich zunächst gar nicht
im angezeigten 8. Modus zuhause. Sie ist eher im 6. oder 1. Modus beheimatet,
aber dann erklimmt sie in einem einzigen Schwung die ganze Leiter, hier
bei den Worten, die die Eigenschaften des Messias eindringlich erzählen,
dabei den Modus hin zum 8. wechselnd. Wir werden morgen noch einmal
in anderem Zusammenhang diesem Phänomen des Moduswechsels begegnen.
Zusammenfassend
können wir sagen:
Auch bei
diesen Antiphonen steht alle Musik im Dienst
des Wortes und des Gedankens, der es belebt. Aber auch diese von der
1. Vesper so grundlegend andere Atmosphäre
gehört zu Weihnachten. Und merkwürdig genug: genau diese grundlegend
andere Atmosphäre findet sich auch
wieder an den Holztüren von Maria im Kapitol,
nun im zweiten Bild von Weihnachtencht: ist hier nicht wunderbar die große Dynamik,
der breite Erzählton, der der Sinnhaftigkeit
des Geschehens im Außen und Draußen eher folgt als der versenkenden
Stille des Innenraumes, ins Bild gesetzt? So sind beide Aspekte von
Weihnachten zum Schauen ins mittelalterliche Bild gebracht und beide
Aspekte in den Antiphonen der Weihnacht hörend und singend in Klang gesetzt.
Motto: „Es
ist unmöglich, die Melodien von Weihnachten zusingen,
ohne mehr und mehr in das einzutreten und dem näher zu kommen, was es
um das geheimnis von Weihnachten und der Inkarnation ist.“ (DOM Joseph Gajard)
II. Der Introitus und die Communio der
Mitternachtsmesse und der Introitus der Missa in aurora
„Lux fulgebit“
Zunächst
eine Bemerkung zur Messe in der Nacht. Wenn wir uns alle Texte der Mitternachtsmesse
anschauen, so fällt auf, daß Lesung und vor
allem Evangelium die Ankunft des Wortes im Fleisch verkünden, alle Gesänge
(außer dem Offertorium) hingegen Zeugnis von
seinem Sein von Ewigkeit her geben. Die Gesänge tun dies mit den messianischen
Psalmen 2 (Introitus) und 109 (Communio).
In beiden ist die Rede vom WORT, das von Ewigkeit her beim Vater wohnt
und das nun Fleisch annimmt.
Schauen wir
uns diese beiden Gesänge etwas genauer an.
a. Der Introitus
„Dominus dixit“
und Communio „In splendoribus“
(GR)
Sie haben
vorliegen die beiden Gesänge, so wie Sie sie
auch finden bei Ihnen in Ihrem Graduale. Auf den ersten Blick und trotz
der verschiedenen Zahlen, die am Beginn stehen und die Stücke als zum
2. bzw. 6. Modus zugehörig kennzeichnen, ähneln sich die Stücke relativ
weitgehend. Da ist zum einen dieser Wechsel „d-f“ und „f-d“, z.B. bei
„dixit“ und bei „in splendoribus“.
Da ist zum anderen die Tatsache, daß beide
Gesänge sich im wesentlichen mit dem Umfang einer Quinte begnügen, im
Introitus die Quinte „c-g“ in der Communio
die Quinte „d-a“. Im übrigen ließen die beiden Binnenschlüsse (bei „utero“ und „luciferum“ gut und gerne
auch einen Schlußton „d“ zu. Ich willnicht leugnen, daß das“f“ in der Communion eine wichtigere
Rolle spielt, ich will nur sagen, daß der
6. Modus wirklich nur und erst durch den Schluß
deutlich klar herauskommt und befestigt wird. Aber das ändert alles
nichts daran, daß die allgemeine Erscheinung
ähnlich ist. Zuletzt bekräftigen diese Beobachtung die Häufung der Punktnoten
in Vervielfachung bei:
„Dominus“, „dixit“, „ego“, „hodie“, „genui“
bzw. bei
„splendoribus, „ante“ und
„genui“.
So legt zunächst
einmal alles Gesagte auch eine ähnliche Ausführung nahe.
Ich möchte
Sie einladen, die beiden Stücke nun anzuschauen im „Urtext“. Denn die
in den rhythmischen Handschriften des Mittelalters, genauerhin
des 9. / 10. Jhds. überkommenen Hinweise für
rhythmische und agogische Nuancen geben hier uns die Möglichkeit, den
wahren Charakter der Melodie und seinen Sinn zu verstehen.
Zunächst
liegt Ihnen vor eine Kopie aus dem Codex 121 Einsiedeln, der im XI.
Jhd. entstanden ist. In ihm sehen Sie noch keine Notenzeilen,
die bestimmte Tonhöhen angeben. Die Melodien wurden „par coeur“,
„inwendig“ gewußt und mündlich tradiert! Aber
über dem Text sind die rhythmischen und agogischen Zeichen in einer
Penibilität und ehrfürchtigen Exaktheit eingetragen, die uns
in ihrer Differenziertheit bis auf den heutigen Tag erstaunen machen.
Dann liegt
Ihnen die Stücke in einer Fassung vor, die auch wieder Melodien aufzeichnet,
aber darunter auch die Neumen dreier zeitlich und geographisch hanz
unterschiedlicher Provenienz zeigt. Wenn Sie sich an diesen Zeichen
orientieren, dann
springt ein
Sachverhalt sofort ins Auge: Wenn auch die melodischen Linien in beiden
Stücken ähnlich sind, die Nuancen des Ausdrucks könnten kaum unterschiedlicher
sein. Schauen Sie: alle Zeichen sind leichte Zeichen, aus flüssiger
Graphie entstanden. Die einzigen gedehnten Zeichen, erkenntlich an Zusatzzeichen
(Episem) oder Zusatzbuchstaben (t) finden sich – wie sinnig!
- bei „meus“ und bei „hodie“.
Die in der Vaticana gebrauchten eckigen Punkte
sind in Wirklichkeit eigentlich sog. Strophen, leicht und eher duftig
auszuführen. Hier unterstützt im Gegensatz zum „tenete“
bei „hodie“ das „c“ für „celeriter“ noch
die zügige und flüssige Singweise der Strophen. Bevor wir aber daraus
Schlüsse ziehen, möchte ich Sie bitten, außer auf die eine St. Gallener
Handschrift auch einen Blick auf die anderen beiden zu werfen. Sie werden
unschwer feststellen können, daß diese aus
unterschiedlichen Regionen und unterschiedlichen Zeiten stammenden Handschriften
alle einmütig in ihrer Schreibweise sind und in keinem Detail von den
Informationen abweichen, die in der St. Gallener Schrift niedergelegt
sind. Auch wenn wir noch weitere zu Rate zögen: immer würde sich das
selbe Bild ergeben: Alle Handschriften schreiben eine leichte, zarte
Ausführung vor mit den einzigen Profilierungen bei „meus“
und „hodie“.
Und nun zur
Communio. Alle Noten sind breit und gedehnt
notiert, mit Episemen versehen, mit den Zusatzbuchstaben
„a“ für „augete“ und „t“ für „tenete“. Von Anfang bis Ende sind fast alle Neumen in der breiten Ausführung gewählt (Ausnahme: die zwei
Noten bei „lu“-ciferum. Auch die vervielfachten
Noten sind ganz anders geschrieben. Die leichten Strophen des Introitus
sind durch die breiten, gedehnten Bivirgen
ersetzt, die dazu noch ein Episem tragen,
das diese Dehnung noch verstärkt und bekräftigt (und in Laon
in dem „a“ „augete“ seine Entsprechung findet). Aber die Vaticana berücksichtigt das alles nicht, sie schreibt für
leichte Strophen dieselben Punktzeichen wie für breite Bivirgen.
Wie aber schon beim Introitus trifft diese Beobachtung nicht nur auf
eine Handschrift, sondern auf alle drei Handschriften zu. Auch bei diesem
Stück sind sich alle Schriftschulen einig, daß
die Melodie sich ernst und feierlich gibt und jedem Wort einen besonderen
und bekräftigenden Ausdruck und Sinn verleiht. So der unleugbare und
handgreifliche Tatbestand. So die Interpretation, die das ganze Mittelalter
den Stücken gegeben hat, zu einer Zeit, in der der Choral etwas Lebendiges
war, eine Sache der Kirche war, in der noch keiner daran dachte, die
überlieferten Melodien mit persönlich- individuellen Gedanken zu befrachten.
Warum nun
aber dieser Kontrast in den ähnlichen Stücken. Wenn wir genau hinhören
und genau hinschauen, denke ich kann es offenkundig werden: Die Kirche
legt die Worte des Introitus aus dem Psalm 2 in den Mund des fleischgewordenen
Wortes. Es spricht ja der Sohn und was dieser spricht, ist quasi das
Echo der Worte des Vaters. Zur Mitternacht, wo alles sonst schweigt,
da singt der Neugeborene von seiner ewigen Herkunft. Von „uns“ ist in
dem Text nicht die Rede. Weil ER Gott ist, und weil ER von göttlichen
und ewigen Dingen singt, ist die Melodie bewundernswert ernst und und
friedlich. Aber er kündet von diesen Dingen als kleines Kind, als Neugeborener.
Deshalb ist diese Melodie einfach, fein, zierlich. Noch ein weiters
Mal wird es im Choral eine solche Situation geben, daß
der Sohn seine heilsgeschichtliche Befindlichkeit mit den Worten eines
Psalms vor seinem Vater kundtut: an Ostern. Wenn Sie dort den Introitus
verfolgen, dann ist er von der Art und Weise vergleichbar mit diesem
Introitus. Hier schließt sich dann der Kreis, der in der Mitternachtsmesse
sich geöffnet hat.
Und die Communio? Hier ist es die Stimme des Vaters, die wir vernehnem, diese Worte werden gesprochen wie eine Salbung,
wie eine Investitur. Man vergleiche hier, wie Paulus im Hebräerbrief
formuliert:(Hebr. 1.6-9) Deswegen erhält diese
Melodie Feierlichkeit, Kraft, Weite und eine gewisse Souveränität des
starken Ausdrucks.
b. Der Introitus „Lux fulgebit“
Die Messe
beim Sonnenaufgang besingt den eigentlichen „Sol invictus“.
Die große Überschrift über diese Messe ist nicht „Erhabenheit und Einfachheit“
wie im Introitus der Nacht sondern eher: „Gnade und Erbarmen“. Dabei
kann der Text des Introitus als Initiale hergenommen werden für die
ganze Messe. Er kündigt die Ankunft des Lichtes an, bezieht es auf den
Neugeborenen und entfaltet seine Namen. Hören Sie wie die Melodie diesem
Duktus genau folgt.
Sie beginnt
mit einem frohen, entschiedenen, dynamischen Schwung, der sich in einem
einzigen Zug vom tiefen „d“ zum hohen „c“ erhebt, sich dann gefällig
und leicht auf der Tristropha von „hodie“
aufhält (dadurch das Wort „hodie“ herausstellend),
dieses Wort dann aber vor allem auf der Schlußsilbe
breit ausfaltet, um bei der Finalis „g“ zu
landen. Dieses „landen“ im 8. Modus wird aber etwas verunklart
durch das „b“. Wenn Sie so wollen: durch das „b“ ist der 8. Modus angeschlagen.
Das „quia natus
est“ (wieder unter der Verwendung einer Tristropha)
wiederholt als freie Variation den 1. Satz, läßt
so die Wichtigkeit des 1. Satzes deutlich hervortreten und wiederholt
damit auch den „angeschlagenen“ Schluß
erneut. Der dritte Satz „et vocabitur“ breitet
nun die Titel des Neugeborenen aus, also das was der Neugeborene für
die Hirten und damit auch für uns bedeutet. Das „Admirabilis“
ist in der Manier des ersten und zweiten Satzes gestaltet und greift
seine wichtigsten Neuemn wieder auf: Scandicus
flexus, Tristropha
und Pes subbipunctis. Bei „Deus“ wird der 8. Modus durch die Verwendung
des „b“ ein drittesmal angeschlagen und jetzt
kann er sich auch nicht mehr halten: Die dynamischen Titel des Neugeborenen
haben auch in der Melodie ihre Konsequenzen und führen zu einem eindeutigen
Moduswechsel. Bis „regni“ singt die Antiphon
im 6. Modus („devotus“). So hat jeder Titel seine besondere Profilierung:
- der besondere Schwung aus dem ersten Satz für
das „Admirabilis“,
- dei erstmalig
aufs „f“ fallende Kadenz bei „Deus“,
- die lapidar-syllabische von „Princeps pacis“ und gar
- die insistierende Figur und die auffällige Kadenz
für „Pater futuri saeculi“.
Dann kehren
wir im letzten Satz (zunächst noch im 6. Modus verweilend) zurück zur
Atmosphäre des Beginns, die noch verstärkt und gesteigert wird durch
den Quartsprung bei „cujus“ und den betonten
Abstieg des „regni“ zum „f“. Sehen Sie, daß die
Neume für „non erit“
identisch ist mit der Akzentsilbe von „fulgebit“.
Mit einer sehr vertrauten und darum auch sehr gut wahrnembaren
Schlußformel des 8. Modus für „non erit finis“ kehrt die Melodie zum
8. Modus zurück und schließt den Kreis.
Zusammenfassung:
der große und weite Tonumfang einer ganzen Oktave, die deutlich gesetzten
und oft sehr plastischen Tonfiguren sowie der Moduswechsel vom 8. zum
6 und zurück zum 8. lassen dieses Stück sehr bewegt und von großer Dynamik
geprägt erscheinen. Es liegt atmophärisch
damit wieder deutlich beim dem Hirtenbild der Weihnacht. Und so wie
Vesper und Laudes sich verhielten, so geben nun auch die zwei großen
Gesänge Introitus „Dominus dixit“
und „lux fulgebit“
Zeugnis von dieser Spannungsweite von Weihnachtent,
die in den beidern Bildern so treffend zu
schauen und in den Gesängen des Chorals so anschaulich zu hören sind.
Mir war es
in den beiden Vorträgen darum, Ihnen zu zeigen, wie der Choral auf eigene,
unverwechselbare Art und Weise von dem Geheimnis, das es um Weihnachten
ist, kündet. Der Franzose spricht im Zusammenhang mit dem Choral von
texten, „qui ont fleuri
en musique“ Ich würde das angesichts der Bilder
ergänzen wollen, daß die Texte mit den Bildern
„ont fleuri en image“.
Beide künstlerischen
Ausdrucksformen also tragen auf ihre Weise und unverwechselbar zur Verkündigung
aber auch zum Verständnis des Weihnachtsgeheimnisses bei. Oder um mit
dem Motto von Dom Gajards, das am Anfang der
betrachtungen stand zu schließen:
Motto: „Es
ist unmöglich, die Melodien von Weihnachten zu singen, - ich möchte
hier ergänzen: die wunderbaren Bilder der Weihnacht anzuschauen - ohne
mehr und mehr in das einzutreten und dem näher zu kommen, was es um
das Geheimnis von Weihnachten und der Inkarnation ist.“
(DOM Joseph Gajard)
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